Die 100 besten Filme der Dekade

31. Dezember 2019, Christian Westhus

Plätze 40 bis 26: (alphabetisch)


Arrival (2016) | R: Denis Villeneuve
Was Christopher Nolan in der vorigen Dekade war, trifft nun auf Denis Villeneuve zu. Das ist gar nicht mal so böse gemeint, wie es vielleicht klingt. Ich mag beide Filmemacher. Ihre Popularität übersteigt jedoch manchmal, zumindest für mich, die grundsätzliche Qualität ihrer Filme. Allerdings „Arrival“, oh „Arrival“! Der zweifellos beste Film in Villeneuves Karriere (warten wir „Dune“ mal ab) vereint seinen rigoros fokussierten Regiestil und sein psychologisches Interesse mit einer endlich einmal auch emotional mehr als wirksamen Geschichte. Das liegt an der großartigen Amy Adams, am guten Jeremy Renner, aber in erster Linie auch an den thematischen Dimensionen dieser Geschichte über den „ersten“ (obwohl diese Bezeichnung relativ ist) Kontakt mit Außerirdischen. Ein Film, der quasi wortwörtlich gegen die Maxime „erst schießen, dann fragen“ vorgeht, dessen Kernpunkt nicht zuletzt Kommunikation ist. Und die Idee, dass Kommunikation und das damit verbundene Grundvertrauen der Schlüssel zum besseren Leben und Überleben der Menschen bzw. der Menschheit ist, wurde in den Jahren seit der Entstehung des Films nur noch wichtiger.


Columbus (2017) | R: Kogonada
Einer jener Filme, die es bis heute nicht nach Deutschland geschafft haben, den ich nur mit größerem eigenen Aufwand herausgesucht habe (Die UK BD bekommt man aber je nach Timing für’n 10er), da ihn einige ausgewählte Stimmen im Internet positiv und interessant besprochen hatten. Und vielleicht kann dies nun für neue Neugierige tun. Das Spielfilmdebüt des einstigen Internet Video Essayisten Kogonada erinnert bei oberflächlicher Betrachtung an „Lost in Translation“. In Columbus, Indiana treffen sich ein Mann und eine junge Frau (John Cho, Haley Lu Richardson – beide sensationell gut) und finden über Architektur zueinander, denn Columbus ist eine Art Mekka modernistischer Architektur. Beide haben unterschiedliche Beziehung zur Kunst der Baugestaltung, gehen vollkommen unterschiedlich mit dem emotionalen Potential eines Gebäudes um. Dennoch verbringen sie mehr und mehr Zeit miteinander und bringen nach und nach ihre jeweiligen individuell komplizierten Elternsituationen ins Spiel. Auch diese weisen zunächst in verschiedene Richtungen und haben doch Gemeinsamkeiten. Kogonadas emotionsgeladener und doch jederzeit zurückhaltender und beherrschter Plot, mit seiner Ozu-inspirierten Kameraarbeit, entwickelt durch dieses irgendwie, ja, essayistische Zusammenspiel seine wahrlich poetische Kraft. Ein ohne Zweifel ruhiger Film, der in gewisser Weise heimlich und fast unbemerkt Welten im Zuschauer versetzt.


Der fantastische Mr. Fox – Fantastic Mr. Fox (2009. In Deutschland erschienen Mai 2010) | R: Wes Anderson
Von nichts kommt nichts. Natürlich hatte Wes Anderson schon vor diesem Film gewisse stilistische Neigungen und Spleens, gewisse Vorlieben und Erkennungsmerkmale, die man besonders deutlich bei „Die Tiefseetaucher“ und „Darjeeling Limited“ erkennt. Und doch ist „Fantastic Mr. Fox“ eine Art Zäsur, ein Moment, der Andersons Karriere in ein Davor und ein Danach unterteilt. Die Erfahrung mit einem Animationsfilm schärfte den Realfilmstil noch weiter ein. Doch schon für sich genommen ist dieser Film eine Sensation. Nach der Geschichte von Roald Dahl bekommen wir einen optisch einzigartigen und einfach unfassbar schönen Film präsentiert, dessen Geschichte um eine dysfunktionale Familie, eitle Väter, hypersensible Söhne und die schräge Verwandtschaft dazwischen eindeutige Anderson Brandmarken trägt. So witzig wie rührselig, so spannend und rasant wie dramatisch. Ein Meisterwerk.


A Ghost Story (2017) | R: David Lowery
Noch so eine Geschichte von Tod, Trauer und dem Leben danach, nach dem Verlust. Ganz anders als „Personal Shopper“ und doch ähnlich gut. David Lowery ist ein interessanter Typ, der zuvor das etwas kleinere Disney Realfilmremake „Elliot, der Drache“ drehte und dann mit seinen befreundeten Darstellern Casey Affleck und Rooney Mara diesen Film drehte. Affleck stirbt nach einem Autounfall und kehrt als klassischer Geist mit Laken und rund ausgeschnittenen Augen zurück. Wem dieser Anblick zu blöd, zu albern, zu kindisch ist, wird keine Freude am Film haben. Für mich ist dieses Design nicht nur verblüffend effektiv, sondern auch unfassbar ästhetisch. Abseits jeglicher dramaturgischer Einflüsse ist dieses Gespenst ein bemerkenswerter Anblick. Doch natürlich hat der Film mehr als Äußerlichkeiten zu bieten. Der Geist beobachtet, wie seine zurückgelassene Freundin trauert, wie das Haus, an dem er so hing, sich verändert. Er folgt dem Haus vorwärts und rückwärts durch die Zeit, beflügelt von einer Suche nach Antworten. Dieses konzeptionelle Wagnis muss man selbst gesehen und erlebt haben.


Her (2013/14) | R: Spike Jonze
Alexa, nenne mir einen der besten Filme der Dekade mit Joaquin Phoenix in der Hauptrolle. Gefühlt 300 Treffer wurden gefunden. Der Film, der etwas simplifizierend als „Ein Mann verliebt sich in sein KI Betriebssystem“ beschrieben wurde, ist im Prinzip genau das und noch mehr. Das Erstaunliche an „Her“ ist nicht zuletzt, dass wir beiden Figuren ähnlich nahe kommen, dass beiden Aufmerksamkeit geschenkt wird, Theo und Samantha (im Original gesprochen von Scarlett Johansson). „Her“ ist eine verblüffende Glanzleistung des Produktionsdesign, ist rührend und witzig, von großer Empathie umgeben. Ein Film darüber, Mensch zu sein. Und natürlich klingt das platt und beliebig. Es braucht große Filme wie diesen, um derart platte Beschreibungen zu einem echten Erlebnis zu machen.

It’s such a Beautiful Day (2006 – 2012) & World of Tomorrow (2015) | R: Don Hertzfeldt

(C) Bitter Films

Animation ist grenzenlos. Wir nähern uns einer Zeit an, in der auch das vermeintliche Realfilm- bzw. Life Action Kino je nach Bedarf wie Animation bearbeitet werden kann und darf, doch was Animationsfilm wirklich kann, erkennt man immer dann am besten, wenn man fernab der großen Geldbörsen und Think Tank Produktionen sucht. Don Hertzfeldt ist zum allergrößten Teil ein Ein-Mann-Animationsstudio. Das ist natürlich nur zur Hälfte wahr und doch gefühlt eine Tatsache. Mit „It’s such a Beautiful Day“ fusioniert Hertzfeldt drei Kurzfilmepisoden zu seinem ersten Spielfilm und schickt ein einfaches Strichmännchen namens Bill auf eine eigentümliche Reise durch einen Alltag aus Einsamkeit, sozialen Angstzuständen, Depressionen und existentialistischen Fragen, während allen voran Smetanas „Moldau“ musikalisch Stimmung verbreitet. Ja, äußerst angenehme und fröhliche Kost, aber ein einzigartiges Kunstwerk berstend mit Ideen, mit verblüffenden Beobachtungen und der Poesie von Hertzfeldts „dead-pan“ Sprache. Mittlerweile hat Hertzfeldt nicht nur den besten Simpsons Couch Gag aller Zeiten als Gast-Animator erschaffen und war für den Oscar nominiert, sondern auch eine neue Kurzfilmreihe gestartet. „World of Tomorrow“ ist technisch aufwändiger und doch in Form und Inhalt noch immer 100% das Werk seines Autors. Ein Klon eines Klons (eines Klons) aus der Zukunft nimmt Kontakt mit dem menschlichen Ursprung auf und durchlebt die wunderschöne Tragik des Lebens. Womöglich wird aus den bisher zwei „World of Tomorrow“ Filmen in absehbarer Zeit erneut ein Spielfilm, der dann fast unvermeidbar zu den besten Filmen der Dekade 2020 bis 29 gehören wird. Aber so weit sind wir noch nicht. Noch sind diese Kurzfilme gut genug, dass sie zusätzlich zu „It’s such a Beautiful Day“ hier erwähnt werden müssen. Hertzfeldts Filme gibt es bei Vimeo zu leihen und zu kaufen. ISABD Trailer. World of Tomorrow Trailer.


La La Land (2016) | R: Damien Chazelle
Es ist irgendwie uncool geworden, „La La Land“ zu mögen. Das ist zumindest der Eindruck, wenn man sich an den falschen Orten im Internet herumtreibt. Vielleicht wurde der Film doppelt Opfer der erwartbaren und doch unnötigen (medial kreierten) Rivalität mit „Moonlight“ auf dem Weg zu den Oscars. Vielleicht werden die Songs, die zumeist ganz bewusst klein, bescheiden und bodenständig sind, zu sehr mit „A Star is Born“ und dessen „Shallow“ verglichen. Für mich ist „La La Land“ ein Genuss; enorm unterhaltsam, wunderbar anzusehen und sowohl inhaltlich als auch emotional deutlich komplexer, als man dem Film oftmals zugesteht. Regisseur Damian Chazelle schickt in seinem Jacques Demy-inspiriertem Musicaldrama wieder zwei Getriebene, zwei Obsessive auf eine einschneidende Reise. Und es tut mir wirklich leid, aber spätestens das Ende ist ein derart großartiger cineastischer Augen- und Ohrenschmaus, dass der Film alleine dafür schon einen Platz auf dieser Liste verdient hat. Dieser Abschluss ist in seiner wunderbar schwer zu bewertenden Konsequenz noch lange nachwirkend.


Die Legende der Prinzessin Kaguya – Kaguyahime no monogatari (かぐや姫の物語) (2013/14) R: Isao Takahata
Zumindest außerhalb Japans stand Isao Takahata, Mitbegründer von Studio Ghibli, immer ein wenig im Schatten von Hayao Miyazaki. Das ist so bedauerlich wie nachvollziehbar, schaut man sich an welche Geschichten beide erzählen und wie sie diese erzählen. Takahatas Animationsstil war seit jeher abwechslungsreicher, freier, experimentierfreudiger. Zwischen „Tränen der Erinnerung“, „Pom Poko“ und „Meine Nachbarn die Yamadas“ liegen Welten. Und der unbeschreibliche Aquarell- und Tuscherausch von „Prinzessin Kaguya“ ist vielleicht der ästhetisch schönste Anime aller Zeiten. Es ist die parabelartige Geschichte eines Bauernpaares, die ein magisches Baby im Wald finden, es aufziehen und irgendwann die wahre göttliche Natur des Kindes entdecken, während das Kind einfach nur Kind sein will. So schön und bittersüß, ist „Prinzessin Kaguya“ durchzogen von japanischer Mythologie, naturalistischen Landszenen und begeisternden Zwischensequenzen. Wer neugierig ist im Animationsbereich (oder bei Filmen generell) kommt um diesen Film nicht herum.


Die Liebesfälscher – Copie Conforme (2010/11) | R: Abbas Kiarostami
Das iranische Kino der vergangenen 30 Jahre war durchzogen von metafiktionalen Verrenkungen. Filme über Filme, Dokumentationen über die Entstehung der Filme und fiktionale Nachstellungen dieser Dokumentationen. Es kann eine gleichermaßen spannende wie überfordernde Aufgabe sein, sich dieser Welt zu nähern. (Noch erschwert dadurch, dass kaum einer dieser Filme in Deutschland veröffentlicht wurde.) Einfacher hat man es da mit diesem Film, der Irans bekanntesten Filmemacher nach Frankreich lotst. Von seiner Vorliebe für Brechungen mit den Regeln des Films hat Kiarostami auf dem Weg nichts verloren. Juliette Binoche und William Shimell begegnen einander und schlendern durch eine idyllische Stadt in der Toskana, ehe das Script auf perplexe und faszinierende Weise die Perspektive und die Vorzeichen ändert. Dieser Wechsel ist nicht einfach nur Spielerei, sondern eine grandiose Methode, um die Beziehung und die aufgewühlten Gefühle feiner zu durchleuchten und zu erforschen.


The Lobster (2016) | R: Yorgos Lanthimos
Yorgos Lanthimos ist der gegenwärtige König des absurdistischen Kinos. Zumindest versteht es der Grieche wie kein Zweiter, seine – nennen wir es mal salopp so – ungewöhnlichen Ideen zu gleichermaßen unterhaltsamen wie auch faszinierenden und spannenden Filmen zu machen. In gewisser Weise ist „The Lobster“ ein dystopischer Film; eine alternative Realität, in der es verboten ist Single zu sein. Wer nicht mit einem Partner zusammenlebt, wird in ein Hotel verfrachtet und hat gut sechs Wochen Zeit, um einen passenden Lebenspartner zu finden. Das betrifft auch frisch Verlassene oder Witwer. Wer es in den sechs Wochen nicht schafft, eine funktioniere neue Beziehung zu starten, wird in ein Tier seiner Wahl transferiert. Ist doch logisch. Nur echt mit Lanthimos‘ affektiert monotonen Art der Dialoge, ist „The Lobster“ nicht nur ein hochkomplexes Gedankenspiel, welches Einsamkeit, sozialen Druck und Authentizität von Beziehungen unter die Lupe nimmt, der Film ist auch oftmals schreiend komisch, dabei aber schwarz wie die Nacht. Mit zunehmendem Verlauf übernimmt eine romantische Tragik das Kommando, doch all diese Begrifflichkeiten kommen zu kurz, um dieses Kuriosum zu beschreiben. Ein Genuss, nicht zuletzt auch Dank der grandiosen Besetzung. Nach aktuellem Stand Lanthimos‘ bester englischsprachiger Film. (Ist das ein Spoiler für diese Liste? Ach, wer weiß das schon…)


Mistress America (2015) | R: Noah Baumbach
Der Greta Effekt. Diese Greta heißt nicht Thunberg, sondern Gerwig und ist meine persönliche Person der Dekade. Bei allem verdienten Respekt für Noah Baumbach, dessen Filme ich auch ohne Gerwigs Beteiligung durchweg mag, kann man Gerwigs Einfluss nicht hoch genug bemessen. Als Co-Autorin und zweite Hauptdarstellerin erweitert sie Baumbachs Stil und Vorlieben für Figuren und Dialoge um weichere und optimistischere Nuancen. Eine Uni-Anfängerin (Lola Kirke) lernt ihre große Stiefschwester in Spe (Gerwig) kennen; die Mutter der einen will den Vater der anderen heiraten. So nimmt die überambitionierte, etwas selbstgefällige und einnehmende Brook die junge Tracy unter ihre Fittiche, führt sie durchs kreative und spaßige Nachtleben New Yorks. Was sich dadurch entwickelt, wie Baumbachs bekannte Archetypen der getriebenen Kreativen völlig neue Nuancen erhalten, wie diese Quasi-Schwestern einander beeinflussen, wie zwei Freunde mit hineingezogen werden und wie alles seinen Höhepunkt in einer knapp halbstündig „Belagerung“ eines Upper Class Hauses nimmt, ist wahnsinnig unterhaltsam und so leichtfüßig wirkungsvoll, dass es begeistert. Nun wäre es nur schön, wenn man diesen Film doch noch auf Blu-ray veröffentlichen könnte. Ich hätte gerne eine. Nur digital reicht mir nicht.


Respire – Breathe (2014) | R: Mélanie Laurent
Die zweite Regiearbeit von Schauspielerin Mélanie Laurent (Inglourious Basterds) über eine verhängnisvolle Freundschaft zweier Schülerinnen. Jedes weitere Wort könnte zu viel gesagt sein (Pause zum Weiterscrollen), aber dies ist Schule, Freundschaft und Jugend als realistische Hölle. Stressig, emotional fordernd und höchst intensiv, aber stark gespielt und noch besser inszeniert. Der Film könnte theoretisch mit Leichtigkeit auch in Deutschland und gar fürs Fernsehen produziert worden sein, doch Laurent und ihre Darstellerinnen Joséphine Japy und Lou de Laâge kreieren Bilder, Stimmungen und Momente, die man nur höchst selten vorfindet. Vielleicht ist der Film daher bis heute nicht in Deutschland erschienen, weder auf Scheibe, noch via Streaming. Die französische Blu-ray kommt aber immerhin mit englischen Untertiteln. Das reicht zumindest mir. Oh, und wer noch immer das Lied „We are young“ von Fun (ja, so heißt die Band) im Kopf hat, dürfte nach diesem Film geheilt sein … oder ein Problem haben.


A Serious Man (2009. Deutschlandstart Januar 2010) | R: Joel Coen + Ethan Coen
Ja, streng genommen gehört dieser Film in die letzte Dekade. Aber wir warten für diese Dekadenliste ja auch nicht auf „Knives Out“ oder „Little Women“, also gehört dieser Film doch irgendwie hierher. Und das tut er doppelt, denn „A Serious Man“ wird im eigentlich fast durchweg gefeierten Schaffen der Coen Brüder gerne mal übersehen. Was „After Hours“ und „The King of Comedy“ bei Scorsese sind, ist „A Serious Man“ bei den Coens. Angefangen bei einem ungewöhnlichen Vorspiel jüdischer Folklore, folgen wir anschließend Larry Gopnik während einiger schwieriger und schicksalhafter Tage eines Sommer in den 1960er Jahren. Larry ist eine Art Hiob, vom Pech verfolgt und vielleicht auserwählt, in seinen Überzeugungen und in seinem Glauben standhaft zu bleiben. Die Sequenz der Erzählung über einen gewissen Zahnarzt gehört zum Besten, was die Coens jemals abgeliefert haben. Und auch sonst begeistert „A Serious Man“ mit dieser unbeschreiblichen Stimmung, irgendwie schrill, irgendwie absurd, irgendwie tragisch und doch zu grotesk und aberwitzig, um zu verzweifeln. Doch genau das tut Larry, und sei es nur, um ein nicht gewolltes Schallplattenabo (Santana, Abraxas) abzubestellen. Ein famoser Film, in dem man mit jeder Sichtung etwas Neues erblickt.


Tabu: Eine Geschichte von Liebe und Schuld – Tabu (2012) | R: Miguel Gomes
Auch andere Väter haben schöne Töchter und auch andere Länder machen gute Filme. Heute: Portugal. Miguel Gomes‘ in Teilen an Murnaus „Tabu“ angelehntes romantisches Drama entfaltet sich in zwei Hälften, in Vergangenheit und Gegenwart. In erlesenen Schwarzweißbildern folgen wir einer Seniorin bei dem Blick in die Vergangenheit, auf eine halb vergessene, halb Traum, halb Mythos gewordene Erinnerung an eine junge Liebe in Afrika. Unkonventionell erzählt, teils überraschend offen und direkt, teils mit einer europäischen Nüchternheit, aber schließlich auch so emotional wie das größte Hollywood Melodrama der 40er oder 50er.


The VVitch: A New England Folk-Tale (2015/16) | R: Robert Eggers
Weiß man, dass Robert Eggers als Ausstatter und Produktionsdesigner gearbeitet hat, ehe er mit diesem Film sein Debüt als Regisseur ablieferte, wird so Manches klar. Aus einem bescheidenen Budget holt Eggers ein unvorstellbares Maximum an historischer Authentizität, inhaltlicher Notwendigkeit und stimmungsvoller Beklemmung heraus. In Neu-England des 17. Jahrhunderts wird eine übermäßig fromme Familie aus dem Dorf in die ungeschützte freie Natur verbannt. Hier versucht die Familie mit einer kleinen Farm neu anzufangen, doch im Wald haust eine finstere Hexe, die sich den Säugling schnappt. Bald häufen sich Krankheitsfälle, die Zwillinge reden wirre Dinge, der Ziegenbock ist womöglich Satans Instrument und alles fällt auf Thomasin (Anya Taylor-Joy) ab, die Älteste. Keineswegs ein Horrorfilm zum Aufspringen und Nägelkauen, stattdessen eine Meisterleistung in Beklemmung, Unbehagen und thematischer Dichte. Eine etwas reißerische Pressestimme beschrieb den Film als etwas, das so echt und schockierend wirkt, wie ein reales Dokument, dass wir es eigentlich nicht sehen dürften. So seltsam es klingen mag, trifft es irgendwie noch immer zu.

Einleitung | Plätze 100 bis 86 | 85 bis 71 | 70 bis 56 | 55 bis 41 | 40 bis 26 | 25 bis 11 | Top 10

Autor: Christian Westhus

Ein echter Ostwestfale. Gebürtig aus einer kleinen Doppelstadt, die niemand kennt, studierte Literatur in einer Stadt, die es angeblich nicht gibt (Bielefeld). Arbeitet seit 2006 für BereitsGesehen, schreibt Kritiken und Kolumnen, gehört zum Podcast Team und ist einmal im Monat beim KultKino in Lippstadt zu sehen.

Um an dieser Diskussion teilzunehmen, registriere dich bitte im Forum:
Zur Registrierung