Ich biege auf die Zielgerade ein. Mit einem selbstkritischen Blick auf die schweizer Aussenpolitik während des Zweiten Weltkriegs. Einem Thrillerdrama aus Spanien, das gekonnt mit der Erwartungshaltung des Publikums spielt. Und schliesslich noch einem Drama aus Marokko, der die Liebe in all ihren Facetten feiert.
DER BLAUE KAFTAN
Der schönste Liebesfilm des diesjährigen ZFF's würd ich dieses marokkanische Drama von Regisseurin Maryam Touzani nennen.
Sie erzählt dabei von dem traditionellen Schneider Halim und seiner Frau Mina, die gemeinsam in einer marokkanischen Altstadt ihr Geschäft führen. Halim stellt dort zeremonielle Kaftane in traditioneller Handarbeit her. Dabei weigert er sich standhaft, maschinelle Hilfsmittel einzusetzen, auch wenn seine Kundinnen sich immer wieder beschweren, weil die Arbeit an ihren Gewändern jeweils so lange dauert. Während Mina eine starke, eher resolute, aber auch lebensfrohe Frau ist, zeichnet Halim eine grosse Ruhe und Introvertiertheit aus.
Mina bleibt nicht verborgen, dass sich ihr Mann zu ihrem jungen Gehilfen Youssef hingezogen fühlt, was in ihr feindselige Gefühle gegenüber dem jungen Mann weckt. Gleichsam versucht sie im Kleinen ihrer Ehe neues Leben einzuhauchen. Doch dann erkrankt Mina schwer und ist bald nicht mehr in der Lage ihre Wohnung zu verlassen. Während sich Halim aufopferungsvoll um seine Frau kümmert, sehnt er sich gleichsam nach Youssef's Nähe.
Was mir an LE BLEU DU CAFTAN besonders gefallen hat, ist diese ganz besondere würdevolle Figurenzeichnung, die ihm zu eigen ist und dem Film ein besonders Flair verleiht. Insbesondere in den Szenen zwischen Halim und Mina gelingen der Regisseurin wunderbare Momente intimer Vertrautheit. Nicht ganz so gelungen fand ich die Inszenierung von Halims homosexuellem Begehren. Hier werden zu oft allzu vertraute Bilder benutzt und auch die Darstellung wirkt ein wenig prüde. Auch Youssef bleibt als Figur leider zu blass.
Was den Film allerdings besonders auszeichnet ist die Tatsache, dass er die beiden Beziehungen, also die Liebe Halim's zu seiner Ehefrau und seine Liebe zu Youssef nicht gegeneinander ausspielt. Dass Halim homosexuell ist, bedeutet nicht, dass seine Liebe zu Mina nicht aufrichtig und tief empfunden ist, was der Film in vielen ergreifenden Szenen darstellt. Insofern ist LE BLEU DU CAFTAN eben ein sehr wahrhaftiger Film über die Liebe in all ihren Facetten.
8/10
AS BESTAS (THE BEASTS)
AS BESTAS ist ein stark gespieltes Thrillerdrama-Kleinod aus Spanien, das sich viel Zeit nimmt, Spannung aufzubauen, um dann die Erwartungen des Publikums gekonnt zu unterlaufen.
Das französische Ehepaar Vincent und Olaga haben sich in einem kleinen Dorf in Galicien Land gekauft um dort biologischen Landbau zu betreiben und die Ruinen alter Landhäuser für Tourist:innen wieder zu renovieren. Von einigen Einheimischen, insbesondere ihren Nachbarn, wird das Ehepaar angefeindet. Den Dorfbewohnern liegt nämlich das Angebot einer grossen Firma vor, das ihnen ihr Land abkaufen will, um dort Weinen Windpark zu errichten. Für viele der Bewohner:innen, die im Dorf am Rande zur Armut leben, eine grosse Chance auf eine Verbesserung des Lebensstandards. Doch dafür müssten alle dem Verkauf zustimmen, und eben gerade das neu zugezogene Ehepaar aus Frankreich, weigert sich dies zu tun. Im weiteren Verlauf nehmen die Spannungen zwischen Vincent und seinen Nachbarn immer weiter zu. Doch Vincent ist nicht bereit, einzulenken.
Es ist weniger der Plot der überraschend verläuft, als mehr die Tatsache, wie Regisseur Rodrigo Sorogoyen geschickt mit dem Spannungsaufbau hantiert und immer wieder Erwartungen weckt, mal erfüllt und dann eben wieder bewusst unterläuft. Das funktioniert eben auch, weil wir es hier nicht mit einem klischeehaften Genrefilm zu tun haben, sondern mit einem sehr realistischen Porträt eines innergesellschaftlichen Konfliktes, in dem alle Figuren gleichsam ernst genommen werden und ihre Handlungen weitestgehend nachvollziehbar dargestellt werden. Das ganze ist zudem verdammt gut gespielt und schön bebildert.
7.5/10
A FORGOTTEN MAN
A FORGOTTEN MAN war der einzige Schweizer Film, den ich am Festival gesehen habe. Thematisch fand ich den Ansatz schon mal hochinteressant. Der Film spielt im Mai 1945 nach der Kapitulation der Nazi's. Der Schweizer Botschafter in Berlin, Heinrich Zwygart, kehrt in die Heimat in sein Familienanwesen zurück. In Berlin musste Zwygart so manchen schwierigen Kompromiss mit den Nazi's eingehen, um die Interessen seiner Regierung zu vertreten. Zurück in der Heimat wird er von seiner Familie liebevoll empfangen. Nur sein Vater, ein alter Militär, steht ihm und seinem politischen Wirken mit Skepsis gegenüber. Zwygart plant bereits seine politische Zukunft in der Schweiz und erwägt eine Bundesratskandidatur. Doch dann kommt es anders als erwartet. Denn mit dem Sieg der Alliierten hat sich auch an der politischen Ausrichtung der Schweiz einiges geändert, und nun gilt es, sich nach aussen hin als treue Verbündete der Alliierten zu verkaufen. Und in diesem Bild hat der ehemalige Botschafter in Berlin keinen Platz mehr.
Gleichsam wird Zwygart zurück zu Hause von Visionen eines jungen Mannes verfolgt. Diese haben ebenfalls mit seiner Zeit in Berlin zu tun und einer Schuld, die er sich da aufgeladen hat.
Der in schwarz-weiss gedrehte Schweizer Film wurde von einem älteren Theaterstück namens „Der Gesandte“ inspiriert und den Theaterbezug merkt man dem Film durchaus auch an. So beschränkt sich der Handlungsort weitestgehend auf das Familienanwesen der Zwygart's. Hauptdarsteller Michael Neuenschwander macht seine Sache gut und bringt sowohl die selbstbewusste, eitle Seite seines Botschafters, als auch dessen Zweifel und moralische Zerrissenheit gut rüber. Mit den Dialogen ist es wie so oft in Schweizer Filmen, und sind in ihrer Qualität recht schwankend. Es gibt aber ein paar richtig starke Momente, gerade auch wenn Zwygart seine ehrliche Meinung über die Schweizer Politik während des 2. Weltkriegs zum Besten gibt oder von seiner Begegnung mit Adolf Hitler erzählt und dabei gegenüber einem begeisterten Hitler-Fan deutlich macht, wie eigentlich armselig ihm damals der Führer in Wahrheit erschienen ist.
Und so ist der Film auch genau dann am stärksten, wenn er diese kritische Perspektive auf die Schweizer Politik von damals in den Fokus rückt. Weniger interessant hingegen ist der Versuch, Zwygart's Schuldgefühle mit den filmischen Mitteln des Grusel- und Mysterygenres filmisch aufzubereiten. Da wirds dann auf plumpe Weise effekthascherisch, ohne damit eine grosse Wirkung zu entfalten, oder dem Film inhaltlich einen Mehrwert zu verleihen.
6.5/10