Beyond The Red Mirror
Und jetzt ist die neue Blind Guardian nach 5 Jahren endlich da. Hab sie schon dauerrotierend im Player, und weil so ein Ereignis nicht alle Tage eintrifft, hier mal ein paar längere Worte zu den Einzelnen Songs + Gesamtfazit von mir
1.
The Ninth Wave
Epischer 9:29min-Opener. Kommt nicht ganz an die ebenfalls 9 1/2 Minuten lange Einstiegsnummer Sacred Worlds vom Vorgängeralbum
The Edge of Time ran, aber funktioniert als Opener für die Scheibe dennoch außerordentlich gut. Überraschenderweise kein (kaum) Orchester, dafür ein paar elektronische Sounds und derbe Einstiegs/Abschluss-Choräle.
2.
Twilight of the Gods
Die Single. Gefällt sehr gut, der Refrain ist vielleicht doch eine Spur kitschiger/generischer als von der Band im Vorfeld angekündigt wurde ("bester Refrain ever" oder so ähnlich, hob die Erwartungshaltung unfair an), aber prinzipiell eingängig und halt klassisch Guardian. Strophen und Bridge sind angenehm verspielt. Abgesehen von der Ballade mit „nur“ knapp 5 Minuten die mit Abstand kürzeste Nummer. Rockt.
3.
Prophecies
Der zurückgenommene Anfang lässt beinahe eine Ballade vermuten, aber BAM. Auf einmal geht es episch los, bleibt jedoch stets in moderater Geschwindigkeit und Bridge + Refrain haben dann die vielleicht einprägendste Melodie des ganzen Albums. Nicht gerade das komplexeste Stück des Albums, aber wegen seiner Eingängigkeit momentan mein Lieblingsstück auf der Scheibe und auf Konzerten definitv eine zukünftige Mitsing-Nummer. Hat was von
Nightfall in Middle Earth.
4.
At the Edge of Time
Die erste Nummer mit voller Orchesterunterstützung, und sie nutzt sie wunderbar. Langsamer, aber stetiger Aufbau, großer Refrain, komplexe Arrangements. Aufbau und Feel erinnern an
A Night at the Opera. Großes Kino.
5.
Ashes of Eternity
Moderner Sound, knallt gut rein. Scheint erst der härteste Song des Albums zu werden, doch mit dem ersten Refrain springen auf einmal richtig happye Melodien dazwischen, als hätte man im Fernsehen von einem Copthriller auf einen Gute-Laune-Film umgeschaltet. Definitiv songwriterisch ein wenig weird, aber gerade das empfinde ich als Zuhörer als sehr spannend und damit begrüßenswert. Auch einer meiner Favoriten.
6.
The Holy Grail
Klassische Guardians-Speed-Nummer. Relativ trocken (im positiven Sinne) und zielgerichtet. Chöre zwar natürlich immer wieder unterstützend dabei, aber eher zurückgenommen und teils nicht in voller Besetzung, es klingt stellenweise wie früher mehr nach gedoppelten Hansis. Dadurch kommt auch ein gewisser Oldschool-Vibe hervor. Hätte auch gut auf die
Nightfall in Middle Earth gepasst.
7.
The Throne
Wieder mit Orchester, wieder werden Erinnerungen an
A Night at the Opera wach. Nach meinem persönlichen Empfinden ein bisschen weniger eingängig als At the Edge of Time, die Nummer walzt etwas geradliniger dahin. Muss die aber vielleicht noch öfter hören, momentan bin ich mir immer noch nicht so ganz über die Struktur der Nummer klar
8.
Sacred Mind
Überraschende Elektrosounds am Anfang. Dann langsamer Einstiegsgesang, bis es plötzlich in fettes, teils rasend schnelles Shredding übergeht (die Tempi variieren aber selbstverständlich wie bei quasi jeder BG-Nummer weiterhin laufend). Hansis Gesang ist stellenweise überraschend rau, wie es seit
Imaginations oder
Nightfall nicht mehr zu hören war. Dementsprechend würde ich sogar sagen, die Nummer ruft am ehesten Erinnerungen an die 95er-Kultscheibe
Imaginations from the Other Side wach. Ein Beweis dass die Guardians trotz allem Schmalz auch das fett wegrocken nicht verlernt haben.
9.
Miracle Machine
Die obligatorische Ballade und dennoch größte Überraschung auf
Beyond the Red Mirror. So klang bisher noch keine Guardians-Ballade, eigentlich gar keine Nummer in ihrem Backkatalog. Der Einfluss von Queen ist hier sehr deutlich erkennbar, die Nummer fühlt sich fast eher an als sei sie ein verloren gegangenes Stück vom Cover/Raritäten-Album
Forgotten Tales. Schöne, recht kurze Nummer mit Exotenbonus.
10.
Grande Parade
Die große Nummer. Und gleich vorweg, genauso wie Sacred Worlds das spannendere Intro-Opus war als Ninth Wave, so verliert in meinen Augen auch Grade Parade klar gegen das geniale Wheel of Time vom Vorgängeralbum als episch-orchestrale Abschlussnummer. Dabei funktioniert sie als Albumcloser an sich sehr gut, der wunderbare Aufbau und die starken Refrains von Wheel of Time sind nur einfach nochmal ein gutes Eck überlegen. Grande Parade mag im Detail komplexer geschrieben sein und hat definitiv seine starken Momente, aber der Refrain ist einfach nicht ganz so catchy, und es stellt sich weniger Gänsehaut ein. Erinnert eher an And the Story Ends von
Imaginations. Nicht so sehr vom Klang her, aber in ihrer idealen Funktion als Albumcloser, mehr denn als für sich stehender Song.
Bonus Track Lmt. Edition -
Distant Memories
Ganz nett, aber nicht wirklich herausragend. Kann verstehen warum der es "nur" zum Bonustrack geschafft hat.
Generell bin ich auf jeden Fall zufrieden mit dem Album. Es freut mich dass wieder eine Spur mehr Härte hinzugekommen ist, und man dennoch auch einige neue Einflüsse spüren kann - Nichts radikal neues, und von mir her hätte man gern noch ein wenig mehr experimentieren dürfen, aber ein starkes Album ist ein starkes Album. Am ehesten auf hohem Niveau enttäuscht bin ich von Grande Parade, der „besten Nummer die Blind Guardian je geschrieben haben“, laut André Olbrich. Nach Wheel of Time war die Erwartungshaltung eben in schwindelerregenden Höhen, aber selbst diese „Enttäuschung“ ist immer noch eine sehr gute Nummer. Als Jubiläumsscheibe (Studioalbum Nr. 10) fasst
Beyond the Red Mirror, wie schon von vielen Reviewern angesprochen, wunderbar alles zusammen was Blind Guardian ausmacht. Was jedoch nach einigen Hördurchgängen auffällt, ist dass Killer-Ohrwurm-Refrains eher in den Hintergrund gerückt wurden, um (noch) komplexerem, abwechslungsreicherem Songwriting Raum zu geben. Das klassische Konzept von Strophe-Refrain-Strophe haben Blind Guardian ja schon seit Jahrzehnten gedehnt und variiert wie es ihnen passte, mit der neuen Scheibe sind sie aber wieder auf einem Level der Komplexität angekommen, der es mich wie schon mehrmals angedeutet am ehesten mit
A Night at the Opera vergleichen lässt (mit besserer Produktion aber, wo die Dutzenden von Spuren tatsächlich etwas Raum zum atmen haben). Ein Album, wo 3, 4 mal anhören nicht reichen wird, um ein faires Urteil bilden zu können.
Somit bleibt zu sagen, auch im Jahr 2015 existiert weiterhin kein schlechtes, nicht mal ein mittelmäßiges Blind Guardian - Album. Traurig nur, dass wir nun wohl wieder bis 2020 warten müssen auf neues Material.
9,5/10