Filmfestivaltagebuch (aktuell: 20. Zürich Filmfestival)

Presko

Don Quijote des Forums
All Shall Be Well
Pat und Angie, zwei Frauen in ihren 60ern, leben gemeinsam als Paar in einer schönen Wohnung in Hongkong. Nach dem Besuch von Pats Bruder, seiner Frau und ihren Kindern und Enkelkindern zum Mondscheinfest, stirbt Pat unerwartet. Bald schon tun sich erste Brüche zwischen Angie und Pats Familie auf, insbesondere als deutlich wird, dass Angies Beziehung zu Pat mit keinerlei Rechten für Angie als Hinterbliebene einhergeht - sei es bei der Entscheidung, wie Pat beigesetzt wird, sei es beim Entscheid über das Erbe - wie etwa die gemeinsame Wohnung von Pat und Angie, für die nur Pat als Besitzerin eingetragen ist.

Ray Yeung hat ein stilles Drama über die fehlenden Rechte von Hinterbliebenen nach dem Tod des Partners/der Partnerin aus gleichgeschlechtlichen Beziehungen geschrieben und inszeniert. Zeigt er uns zuerst noch die scheinbare Harmonie zwischen Angie als Teil von Pats Familie, fühlt es sich umso erdrückender an, mitanzusehen, wie sie nach und nach immer weiter abgedrängt und herabgesetzt wird, selbst von den Familienmitgliedern, die ihr zuvor noch ihre Unterstützung zugesichert haben, sobald deren eigene materiellen Interessen ins Spiel kommen. Es ist ein frustrierender Film, der wütend macht und dem Publikum nur wenig Katharsis bietet. Schön inszeniert, toll gespielt, fehlte mir ein bisschen die Charaktertiefe auf der Seite von Pats Verwandten. Ihr Verhalten gegenüber Pat ist nur schwer nachzuvollziehen. Klar, Yeung führt uns mehrfach, ihre schwere wirtschaftliche Situation vor, aber irgendwie hätte ich da gerne mehr über sie und ihre Motivation erfahren. Von Beginn weg bis zum Ende ist es absolut eindeutig, Angie ist im Recht, ihr wird Unrecht angetan und die Pats Familie ist im Unrecht. Ein bisschen mehr Ambivalenz aber hätte dem Film durchaus gut getan. Trotzdem ein sehr schönes Drama zu einem wichtigen Thema, das einen nicht kalt lässt.

 

Presko

Don Quijote des Forums
When the Light Breaks
Im isländischen Drama von Rúnar Rúnarsson lernen wir die junge Künstlerin Una und ihren Freund Diddi kennen. Sie studieren nicht nur gemeinsam und spielen in einer Band, nein, sie sind auch ein Liebespaar und träumen von ihrer gemeinsamen Zukunft. Denn Didi hat sich vorgenommen, morgen zu seiner Freundin zu reisen und mit ihr Schluss zu machen. Doch tagsdarauf wird Una von schrecklichen Nachrichten überrascht. In einem Tunnel ist ein Brand ausgebrochen und, wie sich herausstellt, war Diddis Flug gecancelt worden und wollte mit dem Auto eines Freundes eben durch diesen Tunnel fahren. Erst will Una die Hoffnung nicht aufgeben, doch dann kommt die Hiobsbotschaft: man hat Diddis Leiche gefunden. Zusammen mit ihren besten Freunden verbringt sie nun den Tag, um ihren Freund zu betrauern und Abschied zu nehmen. Auch Klara, Diddis Freundin, kommt hergeflogen und mischt sich unter das Grüppchen der besten Freunde, von denen niemand weiss, dass Diddi eigentlich mit Una zusammen war und plante sich von Klara zu trennen. Für Una wird die Situation immer unerträglicher.

Es tut gut, dass Runarssons Drama mit einer Laufzeit von rund 80 MInuten nicht zu lang geraten ist. So kann er sich ganz auf die Intimität, die sich zwischen den Freund:innen während ihres Abschiednehmens entfaltet, fokussieren und lässt sonstigen erzählerischen Ballast weg. So ist der Film in den Momenten zwischen den Freund:innen, wenn er zeigt, wie sie im gemeinsamen Trauern und Abschiednehmen einander Kraft geben eindeutig am Stärksten. Zwar findet Runarsson mit der Thematik der beiden Freundinnen, von der die eine nie als Freundin anerkannt ist, zwar einen eigenen Storykniff, mich persönlich hat das jetzt nicht so interessiert. Ich fand dieses Dilemma Unas, damit umzugehen, nicht so spannend. Aber gleichzeitig findet Runarsson dann sehr schöne Momente, wenn sich die beiden Frauen langsam einander annähern und sich schliesslich eben auch gegenseitig stützen, anstatt in eine Art Konkurrenz zu treten. Das liegt natürlich auch an dem tollen Jungcast, allen voran der Hauptdarstellerin Elin Hall.


Hiding Saddam Hussein
Im Dokumentarfilm von Halkawt Mustafa lernen wir den irakischen Bauern Alaa Namiq kennen, der eines Tages von Saddam Hussein aufgesucht wurde und den Auftrag bekam, ihn von den 150'000 amerikanischen Soldaten zu verstecken, die damals Hussein jagten. Über ein Jahr lang verbrachte Hussein daraufhin bei Namiq. Mustafas Film besteht zum grössten Teil aus der Erzählung der Ereignisse durch Namiq, Reenactments-Szenen und Archivaufnahmen. Dabei fokussiert sich der Film inhaltlich alleine auf die Wiedergabe Namiqs, der die Geschichte einer ungleichen und nicht minder tragischen Freundschaft zwischen sich und dem gejagten Dikatator in seinen letzten Lebensmonaten erzählt.
Die guten Kritiken hatten mich sehr neugierig auf den Film gemacht und haben mich nach dem Film recht ratlos zurückgelassen, weil ich sie schlicht nicht nachvollziehen kann. Mir fehlte an dem Film alles, was einen packenden Dokumentarfilm ausmacht. Kein Gefühl für Land und Leute, kein Gefühl von Autentizität, und kein Gefühl dafür, wie ich die Erzählung und deren Wahrheitsgehalt einordnen soll.
Zudem frage ich mich, wozu das Ganze? Was soll mir der Dokumentarfilm nun sagen? Der Regisseur erklärte später, man habe ganz zu Anfang, das war vor über zehn Jahren, eigentlich einen Spielfilm geplant, dann habe er sich aber aus dem Projekt wegen inhaltlicher Differenzen zurückgezogen und angefangen an dem Dokumentarfilm zu arbeiten. Aber genauso fühlte sich für mich der Film an. Als wäre das eigentlich eher Stoff für einen Spielfilm und nicht für einen "journalistischen", "seriösen" Dokumentarfilm. Es mag sein, dass alles genauso war, wie Namiq erzählt, es kann sein dass 80 Prozent oder nur 10 Prozent davon stimmen. Ich weiss es nicht, und ich kriege einfach kein Gefühl dafür. Zudem, was er wirklich erzählt, ist nun auch nicht so wahnsinnig interessant oder überraschend. Dass das ne schwierige Situation für den Bauern war, das Saddam nicht bloss ein Monster sondern auch ein liebender Vater war - ja, gut, überrascht mich jetzt nicht so.
Insgesamt in meinen Augen ein sehr frustrierender, ja ägerlicher Film.

 
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Presko

Don Quijote des Forums
September 5
Am 5. September 1972 dringt eine Gruppe arabischer Terroristen in München in das olympische Dorf ein und nimmt israelische Athleten und Staff gefangen, einige werden dabei getötet. Sie verlangen, dass Israel 200 Palästinenser freilässt, sonst töten sie die Geiseln. Live vor Ort ist ein TV-Team von CBS Sports und aus deren Perspektive wird nun erzählt, was bei diesem TV-Team hinter den Kulissen vorging, um über die Ereignisse zu berichten und durch ihre Perspektive werden dann eben auch die Tragödie und die Verbrechen, die da stattfanden nacherzählt.

Wer Spielbergs Munich gesehen hat, wird einiges wiedererkennen. Ich persönlich kenne mich mit den Ereignissen nicht gut aus, und ging entsprechend auch vom Verlauf her recht unwissend an den Film heran. Ich kann mir vorstellen, dass der Film auf jemanden, der/die sich gut mit den Geschehnissen auskennt, nochmal anders wirkt. Mir hat der Film super gefallen. Der Film schaut super aus, ist hochspannend, von einem stets treibenden Erzählrhytmus getragen, und hat auch inhaltlich mehr zu bieten als blosses Wiederkäuen der Ereignisse. So stellt er die Arbeit der Presse durchaus in ein ambivalentes Licht. Die Schauspieler ebenfalls durch die Bank top. Besonders gefreut habe ich mich über ein Widersehen mit John Magaro, den ich in Past Lives so gerne mochte, und die die deutsche Schauspielerin Leonie Benesch (Lehrerzimmer), die allerdings am Schluss so ein paar pathetische Phrasen in den Mund gelegt kriegt (im Sinne von, wieder haben wir Deutsche die Juden nicht geschützt). Auch den hie und da eingestreuten Humor mit dem ein oder anderen Spruch fand ich nicht immer allzu passend. Aber Geschmackssache.

Ich bin gespannt später mehr darüber lesen zu können, wie adäquat der Film wirklich die realen Ereignisse hinter den Kulissen wiedergibt. Für mich jedenfalls ein kleines Festivalhighlight, weil halt auch so ziemlich die Art Film, die mich von jeher zu begeistern weiss.

 

Presko

Don Quijote des Forums
Mother City
Leute, ich muss es sagen, ich komme grade richtig emotional durchgerüttelt aus dem Kino. Gestern noch von einem Dokumentarfilm schwer enttäuscht und heute ist es dasselbe Genre, das für mich eindeutig den bisherigen Höhepunkt eines schon sehr schönen Filmfestivals bildet. Mother City ist wahnsinnig gut.
Es geht um die Wohnungssituation in Cape Town Südafrika, besser gesagt, um den Mangel an bezahlbarem Wohnraum in der Stadt und der Aktivist:innen, die sich dafür einsetzen bzw. sich dagegen einsetzen, dass die Stadt öffentlichen Wohnraum an die Privatwirtschaft verschachert, anstatt etwa Sozialwohnungen zu bauen. Ein Thema, das weltweit Grosstädte betrifft, aber natürlich in Südafrika mit dem Thema Apartheid und Segregation nach Hautfarbe nochmal ganz anders aufgeheizt ist. Der Film beginnt mit einem Grundstück im Stadtzentrum, das die Stadt, wie erwähnt, plant zu verkaufen. Ein Stück Land, das eigentlich in öffentlicher Hand ist und eben super geeignet wäre, für bezahlbaren Wohnraum, zu dessen Förderung sich die Stadt auch verpflichtet hat - eine Verpflichtung, der sie bisher nicht nachgekommen ist (die Stadt gibt es selber zu). 2017 fingen dann die Mitglieder von Reclaim the City an gewisse ungenutzte öffentliche Grunstücke wie ein stillgelegtes Spital zu besetzen. Menschen ohne Wohnung, meist Armutsbetroffene, zogen dort "illegal" ein. Gleichzeitig zogen die Aktivist:innen den Fall um das eingangs erwähnte Grundstück vor Gericht. Nun begleiteten die beiden Dokumentarfilmerinnen Pearlie Joubert und Miki Redelinghuysinn die Aktivist:innen und Mitglieder:innen bei ihrem Kampf und ihrem friedlichen Protest. Und trotz einiger wirklich düsterer Momente, und einem scheinbar hoffnungslosen Kampf ist es ein die meiste Zeit ungeheuer positiver, energiegeladener hoffnungsvoller Film (was übrigens der Trailer nicht so ganz gut widergibt, wie ich finde). Man möchte am liebsten teil dieser Bewegung sein, so unfassbar toll wird das alles dargestellt und so unheimlich sympathisch sind die Menschen in dem Film. Dabei werden die Politiker:innen auch nicht dämonisiert oder so. Aber es werden die falschen Versprechungen und die Ausflüchte offen gelegt.

Düster und geradezu zermürbend wird der Film dann während Corona, als die Stadt tatsächlich den Lockdown nutzte um tausende Menschen aus "illegal" errichten Häuschen in improvisierten Quartieren mit Gewalteinsatz zu vertreiben.
Gleichsam findet er dann wieder zu einem eher hoffnugnsvollen Ton zurück, um auf diesem dann zu enden.

Im Gegensatz zu Hiding Saddam Hussein, den ich noch so kritisiert habe, ist der ganze Film hochaunthetisch, man ist mittendrin, man bekommt ein Gefühl für die Menschen, aber auch für die Stadt und die gesellschafltichen Spannungen. Natürlich ist auch der Film in dem Sinn inszeniert, dass die Regisseurinnen entscheiden, was sie zeigen, was sie weglassen, wann sie was zeigen und wie sie es mit Musik unterlegen, um Emotionen zu wecken. Aber die Bilder, die Menschen, die Szene, die sind nichtsdestotrotz halt authentisch, echt, sie werden gefilmt, als sie passieren - und das hat ne ganz andere Emotionalität und erzeugt eine Nähe, die dem erwähnten Hiding Saddam in seiner Inszeniertheit völlig abgeht.

Wirklich ein ganz wunderbarer Film. Und solltet ihr mal die Chance haben, ihn zu sehen, nehm sie wahr, ihr werdet es nicht bereuen

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