Story XIV - Wo mich jeder kennt

Tyler Durden

Weltraumaffe
Teammitglied
Wo mich jeder kennt[/align]

Sometimes you want to go
Where everybody knows your name,
And they're always glad you came;
You want to be where you can see,
Our troubles are all the same;
You want to be where everybody knows your name.

"Cheers"-Theme



Das alte Kino in meiner Stadt ähnelt wohl dem Klischee-Bild eines Groschenkinos, wie man es nur noch selten findet. Bis auf die Technik des Projektors und der relativ neuen Sound-Anlage ist hier alles noch im alten Stil erhalten.
Der purpurne Vorhang, der die Leinwand verdeckt, wird zu Beginn eines jeden Films vom Kinopersonal per Hand aufgezogen. Statt der unbequemen Klappsitze stehen hier gemütliche alte Ledersessel. Vor einer jeden Reihe befindet sich eine Art Theke mit einer Bibliotheksleuchte.
Der wohl angenehmste Aspekt dieses Kinos ist wohl die Tatsache, dass man sein Popcorn, seine Cola, oder was auch immer man bevorzugt, bequem vom Platz bei einer Bedienung bestellt.

Ich bin alleine hier. Vollkommen entspannt sitze ich auf meinem Stammplatz, welcher sich fast genau in der Mitte des Saals befindet. Von hier hat man einfach die beste Sicht. Im Hintergrund ertönt leise "What A Wonderful World" von Louis Armstrong. Ein Klassiker - wie dieses Kino.
Ich winke die Bedienung zu mir und Delinda bewegt sich auch sofort in meine Richtung. Seit kurzem hat sie ein paar rötliche Strähnen in ihrem schönen blonden Haar. Es färbt wohl sprichwörtlich ab, wenn der Freund Frisör ist.
"Hallo Harvey, was darf's sein?" begrüßt sie mich mit einem tollen Lächeln im Gesicht.
"Guten Abend Delinda, das Übliche bitte." entgegne ich ihr freundlich. Das Übliche bedeutet bei mir eine mittlere Cola und eine ebenfalls mittlere Portion Taccos mit Käsedip.
"Alles klar. Und? Wie geht's dir? Wir haben dich hier gestern Abend vermisst."
"Ach, ich hatte gestern einiges für den Job zu erledigen, und habs nicht mehr in die 21 Uhr Vorstellung geschafft."
"Ich hoffe ja nicht, dass du dem Pandemonium untreu wirst."
"Nene, keine Sorge, das Pandemonium geht mir doch über alles!" sage ich und lache leicht. Warum weiß ich nicht.
Delinda verabschiedet sich und macht sich auf den Weg um meine Bestellung zu holen.

Langsam füllt sich der Saal und ich blicke mich um. In der letzten Reihe sitzt mal wieder eine Bande Jugendlicher, die sich ausgelassen unterhalten. Ein paar Plätze neben mir sitzt ein Pärchen verliebt aneinander gekuschelt und vorne sitzen mehrere Leute, die entweder alleine im Kino sind wie ich, oder auf ihre Verabredung warten. Ich liebe diese Mischung von Menschen wie man Sie nur im Kino findet.
Mittlerweile ist Delinda wieder aufgetaucht und serviert mir meine Bestellung. Es ist kurz vor Neun. Bald wird das Licht gedämmt und der Vorhang aufgezogen. Heute wird "The Breakfast Club" gezeigt. Ich liebe diesen Film.
In diesem Kino habe ich von "Herr der Ringe" bis "Scream jeden wichtigen Film der letzten 15 Jahre gesehen. Naja, eigentlich habe ich jeden Film gesehen, der hier die letzten Jahre gespielt wurde. Die meisten sogar mehrfach.

Endlich gehts los. Ich packe mir meine Taccos und meine Cola auf den Schoß und genieße den Film. Die Filmwelt hat mich fest eingeschlossen und ich befinde mich für anderthalb Stunden in einer Art Trance. Ich fühle mich toll.

Der Abspann läuft und das Licht geht langsam an. Ich warte bis sich der Saal etwas geleert hat und mache mich langsam auf den Weg zur Garderobe. Als ich gerade meinen Mantel und meinen Schal anziehe, kommt Mr. Craigh, der Besitzer des Pademoniums, auf mich zu.
"Hey, Harvey! Wie hat dir der Film gefallen?" fragt er mich, während er mir die Hand gibt.
"Hallo Mr. Craigh! Ein wundervoller Film. Ich habe den zwar schon so oft gesehen, aber ich finde den Film immer wieder klasse."
"Das freut mich. Ich muss jetzt wieder ins Büro, aber ich denke man sieht sich morgen, oder?"
"Gut möglich." sage ich, und Mr Craigh kann sich das Grinsen nicht verkneifen.

Ich verlasse das Kino und warte im kalten Herbstwind auf meinen Bus. Heute habe ich Glück, denn schon drei Minuten später taucht der nächste Bus der Linie 12 auf.

Nach drei Stationen steige ich bereits wieder aus, und gehe in Richtung des asphaltgrauen Plattenbaus. Ich schließe die Haustür auf und gehe langsam die knautschenden drei Treppen zu meiner Wohnung rauf.
Drinnen angekommen entledige ich mich meiner Schuhe, meines Schals und meines Mantels und sehe mich um. Es sieht alles noch genauso aus wie heute morgen. Keine Post. Keine Nachrichten auf dem Anrufbeantworter. Einfach gar nichts.
Wie jeden Abend gehe ich in die steril wirkende Küche und gieße mir etwas Kranwasser in das einzige Glas, was ich besitze.
Ich nehme mir das Glas und gehe zu der einzigen Wand in meinem Haus, die nicht total kahl ist.
Hier hängt ein Bild eines süßen kleinen braunhaarigen Mädchens. Meine Tochter. Ihr Name ist Sam. Es ist über 15 Jahre her, dass ich sie und ihre Mutter zuletzt gesehen habe. Ich frage mich, was sie jetzt gerade macht. Sie muss jetzt 19 sein. Vielleicht hängt sie mit ihren Freunden herum. Vielleicht ist sie gerade genauso einsam wie ich es jeden Abend bin.
Ich verdränge den Gedanken und lege mich ins Bett. Morgen gehe ich wieder ins Kino.
 

Joel.Barish

dank AF
Schön nostalgisch, mit ein bisschen Wehmut und das Cheers-Thema passt auch, obwohl ich die Serie nie gesehen habe, aber das Intro habe ich mir mal schnell angeschaut und inhaltlich macht die Einbindung hier Sinn.
Ich weiß aber nicht genau ob die paar modernen Einflüsse bewusst gewählt sind und andeuten, dass auch das Pandemonium sich nicht ewig erhalten kann, oder ob es eher unpassende Vergleiche sind. Aber Taccos mit Käsedipp und Filme von Herr der Ringe bis Scream würde ich nicht mit der hier vorgestellten Art des Kinos verbinden, besonders wenn heute "Breakfast Club" läuft.

Das Gefühl für dieses Kino kommt nämlich durchaus schön durch, nur war mein erster Gesamtgedanke eher "Hm. Etwas knapp am Ende." Es ist gar nicht mal die Tatsache, dass eigentlich keine Geschichte im eigentlichen Sinne erzählt wird, sondern mehr ein kurzer Tagesbericht. Das ist okay. Vielmehr fehlt mir am Ende etwas. Der Kontrast zwischen Kino und Wohnung ist etwas arg krass und deutlich, mit ein paar plakativen Tendenzen. Der Einschub mit der Tochter ist gut, aber mir fehlt da Bindung und Persönlichkeit um intensiver Harveys Leben und seine Liebe zu den Filmwelten zu ergründen. Und ich frage mich auch, ob es nicht besser wäre, Harvey nie benannt zu haben.
 

MamoChan

Well-Known Member
Die Atmosphäre des alten Kinos wurde sehr schön eingefangen. Nicht nur sah ich es vor meinem inneren Auge direkt vor mir, ich war fast der Meinung den alten Ledrsessel unter mir spüren zu können.
Aber die ganze Zeit klingt es irgendwie sehr traurig. Der Kontrast zwischen dem Kinobesuch und dem alltäglichen Leben Harveys ist mir schon ein wenig groß. Wenn ich ehrlich bin, dann hatte ich plötzlich das Bild von Arnold Schwarzeneggers Wohnung aus "Last Action Hero" im Kopf. :squint:
Harvey tat mir aber tatsächlich unendlich leid. Was mag nur passiert sein, daß sein Leben nun so verlaufen ist? Und was mag nur mit ihm geschehen, sollte es das Pandemonium eines Tages nicht mehr geben?:sad:

Ach ja, was zum Teufel ist eigentlich Kranwasser?
 

Deathrider

The Dude
Hmmmmm... Nostalgie... Ein bisschen weniger kitschig als "Magie", aber auch ein wenig schwächer in der Ausführung.
Hat mir im Stil ebenfalls gut gefallen und auch die Atmosphäre war schön und greifbar, aber ein bisschen hat mir schon die Story in der Story gefehlt. Es bleibt eben nicht viel hängen.

Trotzdem ist die Geschichte gut geschrieben und ein Wort des Lobes wert.

PS:
Original von MamoChan
Ach ja, was zum Teufel ist eigentlich Kranwasser?
Wasser aus dem Wasserhahn. :wink:
 

Tyler Durden

Weltraumaffe
Teammitglied
Die Geschichte zeigt einen Filmfreak eigentlich genauso, wie ihn sich die "breite Masse" so vorstellt - kein Privatleben, keine Freunde, sondern die ganze Zeit nur Filme. :wink:

Aber schlecht ist sie deshalb nicht. Ordentlich geschrieben, nur leider fehlt mir auch hier ein wenig die Handlung.
Solide ist die Story aber allemal.
 
I

In Flames

Guest
Eine weitere Huldigung des alten Kinos wie schon bei "Magie", und auch hier ist die Geschichte sehr kurz und es fehlt mir noch ein wenig mehr Handlung.
Trotzdem ist es atmosphärisch und nett geschrieben. Ich musste gleich an das alte Kino in meiner Stadt denken. Ist zwar mittlerweile auch schon seit bestimmt zehn Jahren geschlossen, aber ich kann mich noch gut an den großen Saal und die aufklappbaren Sitze erinnern.

Und was Kranwasser ist, wusste ich vorher auch noch nicht. Ich kenne das, wie MamoChan, auch nur als Leitungswasser. :wink:
 

Mr. Halfasleep

New Member
Eine niedliche Geschichte über die Droge Kino, die so viele als normal betrachten. Gut geschrieben mit einem nüchtern einsamen Touch am Ende. Nett, aber für mich nicht fesselnd genug.
 
Deine Geschichte finde ich wirklich gut, du hast alles wirklich gut beschrieben man konnte sich ein wirklich gutes Bild des Kinos machen. Irgendwie tut mir Harvey leid, die Geschichte wirft so ein paar Fragen auf. Diese Fragen beziehen sich auf sein Privatleben, es wäre vielleicht noch interessant wenn du ein wenig dazu erwähnt hättest. Aber sonst :top: .
 

Smokersdeelight

Smoker No.1
Original von Deathrider
Hmmmmm... Nostalgie... Ein bisschen weniger kitschig als "Magie", aber auch ein wenig schwächer in der Ausführung.
Hat mir im Stil ebenfalls gut gefallen und auch die Atmosphäre war schön und greifbar, aber ein bisschen hat mir schon die Story in der Story gefehlt. Es bleibt eben nicht viel hängen.

Trotzdem ist die Geschichte gut geschrieben und ein Wort des Lobes wert.

sehe ich genauso und da ich heute faul bin, uebernehm ich das mal einfach so :wink:

6.5 von 10
 

Layla

Nordisch by Nature
Nostalgie pur und bis auf die Ledersessel könnte der Autor auch von unserem urigen Kino hier in Itzehoe schreiben.

Als erstes sticht einem die Liebe zum Dtail und die Wärme ins Auge, deswegen ließt sich die Geschichte auch so schön. Das Ende hat man natürlich erahnt, aber es war irgendwie doch traurig zu lesen..

Sehr schöner Stil, warm und herzlich mit einem traurig bitteren Nachgeschmack.
 

RickDreams

New Member
Tam Tam Tam Tam - Tam Tam Tam Tam - Tam Tam Tam Tam,

ich weiß nicht, dieser Stil gefällt mir einfach nicht recht. Sicher kommt der Freak raus, der nichts anderes kennt, als ins Kino zu gehen, und er vermisst seine Tochter und... aber alles in allem ist es mir zu oberflächlich beschrieben und es zieht mich nicht direkt rein.

Zu wenig Handlung, und zu wenig Originalität.
 

conker

War Sucks, Let's Party!
Die Geschichte gefällt mir, aber das Ende ist einfach zu kurz geraten. Ich weiß nich ob du Zeitdruck hattest oder so, aber das Ende zieht leider alles runter.
 

Jay

hauptsache bereits gesehen
Teammitglied
Original von Layla
Sehr schöner Stil, warm und herzlich mit einem traurig bitteren Nachgeschmack.

Das trifft es ganz gut denke ich. Ist anfangs sehr gemütlich die Story, aber später hin doch sehr melancholisch. Gute Kurzgeschichte,

Thumbs up!
 
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