Eine große Problematik ist dabei ja auch die Presse, die immer mehr und mehr Klicks generieren muss, um sich halten zu können. Natürlich schreibt man da lieber Artikel mit der Überschrift "OMG! Der JOKER-Film könnte verboten werden!" oder "Das US-Militär warnt vor Superhelden-Film :O" als sich in einem Artikel nüchtern und sachlich mit den begründeten und wahnwitzigen Bedenken gegenüber einem Film (!) zu beschäftigen. Es ist halt ein Ergebnis der immer fortschreitenden Lager-Bildung im Netz (und der echten Welt). Entweder ist ein Film das beste auf der ganzen Welt oder der Regisseur ist der unfähigste Mensch seiner Zunft.
Beim JOKER kommen hier natürlich einige Zutaten hinzu, die den Shitstorm-Cocktail perfekt machen: auf der einen Seite haben wir die Abbildung eines bekannten Charakters mit psychopathischem Hintergrund, auf der anderen Seite haben wir die angedeuteten politische Bildsprache der Trailer, dazu kommt ein ohnehin aufgeheiztes soziales Klima in Bezug auf Politik, den Umgang mit geistiger Gesundheit, sowie eben einen bekannten Fall von Gewalt, der eben durch die Hauptfigur dieses Films inspiriert wurde. Ich denke, auch wenn man die Bedenken nicht teilt, sollte man zumindest nachvollziehen können, woher diese stammen.
Nun kommen wir aber zu der, mir einfach nicht ersichtlichen, Schlussfolgerung dieser Bedenken. Jetzt soll man den Film verbieten bzw. nicht mehr zeigen, weil er ein so aufrührerisches Potenzial hat? Das halte ich einfach für ganz großen Quatsch. Selbst wenn man annimmt, dass der Film im Text eine düstere, menschenfeindliche Botschaft transportiert, dann ist ein Verbot doch wieder einmal die absolut falsche Reaktion. So macht man aus dem Film doch eine Art Märtyrer, um den sich dann alle sammeln können, die so eine Message vertreten. In der Vergangenheit hat man doch schon gesehen, was ähnliche Debatten im Videospiel-Sektor mit "GamerGate" zur Folge hatten. Durch radikale Schritte sorgt man nur für die weitere Radikalisierung des Diskurses.
Mal ganz davon abgesehen, dass es in der Geschichte des Kinos nur wenige Filme gegeben hat, die überhaupt dazu in der Lage waren, auch nur irgendeine größere soziale Reaktion zu erzeugen, die sich nachhaltig auf die Weltgeschichte ausgewirkt hat. Die einzigen Beispiele, die mir einfallen wären vermutlich die kollektive Angst vor Haien, die "Der weiße Hai" ausgelöst hat oder das Wiederaufleben des Ku-Klux-Klan durch "Die Geburt der Nation" von D.W. Griffith. Entschuldigt diese Anmaßung, aber ich glaube nicht, dass der Regisseur von "Hangover" hier eine ähnlich Reaktion auslösen kann.
Und nochmal ein Wort zu "Outrage-" / "Cancel-Culture": auch wenn es sicherlich einigen auf den Geist geht, halte ich zumindest das gelegentliche Äußern von Unmut für ein effektives Mittel für sozialen Wandel. Hätte sich niemand über das Fehlen von Diversität oder sexistische Rollenverteilung in Filmen aufgeregt, wäre es heutzutage vermutlich immer noch so schlimme wie in den meisten Filmen vergangener Jahrzehnte. Hätten sich LGBTQ+ Verbände nicht über die Verteuflung von Homosexuellen in Filmen aufgeregt, würden wir immer noch problematische Filme wie "Dressed to Kill" bekommen oder würden Figuren wie Buffallo Bill absolut unkommentiert stehen lassen. Natürlich ist nicht alle Kritik immer wirklich sachlich geäußert und nicht alle Argumentationen zielführend. Es gibt ja aber auch nicht DEN Feminismus oder DIE Liberalen, von denen geschloßene Forderungen ausgehen. Da muss man sich halt sachlich im Diskurs beteiligen und auch mal zuhören.
Einfach mit der Faust auf den Tisch zu hauen und zu sagen, dass Regisseur X einfach keine Filme mehr machen darf, ist dabei einfach blöd. Da sollte immer noch jede/r für sich selbst entscheiden, wie man damit umgeht. Ich werde z.B. keine neuen Bryan-Singer-Filme mehr unterstützen, genauso wie ich kein Varg-Vikernes-Projekte mehr höre oder Louis C.K. Shows mehr gucke. Bei diesen Künstlern ist meine persönliche Meinung einfach zu negativ, als dass ich die weiter finanziell belohnen möchte. Aber da kann ja jeder seine eigenen Grenzen ziehen. Solange ich meinen Standpunkt vertreten kann und ihr den euren, ist alles okay. Die "Verbannung" einer Person, die außerhalb des fairen Gerichtsprozesses stattfindet, ist in meinen Augen einfach nicht gerecht und sollte in unserer Gesellschaft keinen Platz haben. Wenn niemand mehr einen Bryan-Singer-Film mehr sehen oder produzieren will, dann ist das halt so, aber ihn ins Exil zu schicken, ist einfach Quatsch.
Aber nochmal zurück zum JOKER: nein, ich denke nicht, dass der Film einen Aufstand der "Incels" mit sich bringt, Hat er dennoch das Potenzial irgendwelche fragilen Persönlichkeiten zu beeinflussen? Ja, aber genauso können diese Menschen von Musik, einer Kombination aus Medikamenten, Menschen wie Tucker Carlson oder Videospielen zumindest beeinflusst werden. Ein Medium aber aufgrund einer potenziellen Beeinflussung eines verschwindend geringen Teils des Publikums zu verbieten, ist doch aber absoluter Quatsch.